Dieser Gedanke, ich möchte ihm doch nur eine Chance geben, kreist Menschen im Kopf herum, die einem Hund aus dem Tierasyl, der Tötungsstation oder der Tiernothilfe ein neues Zuhause geben möchten. Manchmal verbunden mit der Aussage: Wir wollen eigentlich den Hund nehmen, den kein anderer will, der schon lange im Tierheim sitzt, der sonst im Ausland getötet worden wäre. Man möchte helfen. Vielleicht auch das eigene Ego befriedigen, zumindest aber das eigene Gewissen. Man ist sich im Vorfeld vielleicht sogar bewusst, dass es schwierig wird. Außerdem hatte man womöglich schon ein paar Hunde in seinem Leben. Man hat also Hundeerfahrung. Mit Pferden hatte man auch schon zu tun.

Man möchte etwas gutes tun.

Man möchte etwas Gutes tun. Und deswegen möchte man einem Hund, der sonst womöglich keine Chance mehr hat, eine Chance geben. Und so gelangt man dann eben an genau einen solchen Hund. Es ist gewissermaßen der Wunschhund. Man gibt ihm Zeit, er soll sich eingewöhnen, er hat doch nichts kennengelernt, eine schlechte Kindheit, womöglich wurde er misshandelt. Immer, wenn man laut wird, schrickt er zusammen. Bestimmt wurde er oft angeschrien. Wenn man ihn über den Rücken streicheln will, duckt er sich weg, zeigt die Zähne. Er ist ängstlich. Bestimmt wurde er oft geschlagen. Man muss ihm Zeit geben. Er muss sich eingewöhnen. Er muss verarbeiten. Der benötigt viel Liebe und Zuwendung. Und die wird er bekommen. Ganz viel Liebe und Aufmerksamkeit. Einen guten Platz soll er haben, an nichts soll es ihm mangeln. Denn solche Hunde sind dankbar. Sie sind dankbar, wenn sie ein Zuhause haben.

Und es gibt Hunde, die dankbar sind.

Und es gibt Hunde, die tatsächlich dankbar sind, die sich in ihrem neuen Zuhause völlig problemlos integrieren und einleben. Doch es gibt auch andere. Die ersten Symptome erkennt man daran, dass die heimische Katze, die bislang das ganze Haus als ihr Reich gesehen hat, nur noch die oberste Etage bewohnt und sich nicht mehr herunter traut. Dass er die Katze jagt, ist nun mal seinem Jagdtrieb geschuldet. Und dass er alles vom Tisch stiehlt, was fressbar ist, sogar den Backofen öffnet, indem die Reste vom gestrigen Essen stehen, das ist bei solchen Hunden eben so. Er hat viel Hunger leiden müssen. Dafür erzieht er die Menschen gerade ausgezeichnet zum Ordnung halten durch das vorbeugende Wegräumen. Vielleicht hat er sich auch von der Straße ernähren müssen. Vom Müll der Nachbarn womöglich. Das ist wohl auch der Grund, warum er immer die Sachen der Kinder stiehlt. Ein trauriges Schicksal hat dieser Hund.

Zu Hause ist er brav, aber draußen scheint er ein ganz anderer zu sein.

Aber ansonsten ist er Zuhause ganz brav. Er hört super, lebt sich gut ein. Außerhalb der Wohnung ist es anders. Er zieht dort an der Leine. Und wenn man einem Menschen mit seinem Hund begegnet, sagt er denen schon lautstark Bescheid, was er von ihnen hält. Letztens passierte es: mal eben hinausgehen, zum Briefkasten an der Straße, und zur Mülltonne, da hat er sich durch die nur leicht geöffnete Tür gedrückt. Das hat er noch nie gemacht. Das war das erste Mal. Und dann ist er gleich durchgestartet, auf den Hund der Nachbarin gegenüber. Zum Glück gab es nur ein paar Schrammen, nichts weiter. Man muss da Verständnis haben. Er hatte eine so schlimme Kindheit. Wer weiß, was er alles erlebt hat. Er wurde bestimmt viel getreten und von anderen Hunden gebeutelt. Aber seitdem haben die anderen Hundebesitzer in der Straße Angst vor ihm. Sie gehen nun immer andere Wege. Einer dreht sogar um, wenn er uns sieht. Wir waren da gerade auf dem Weg zu dem Hundefreilauf. Da tobt der immer so schön. Er kann da mal Hund sein. Da kann er sich mal so richtig auslassen. Und dann rempelte ihn ein anderer an. Es war mitten im Spiel, sie rannten um die Wette. Und dann hat er den anderen Hund umgeworfen. Es gab viel Geschrei. Ein großes Tohuwabohu. Er wusste es doch nicht besser. Er ist doch schlecht sozialisiert. Und in seiner Kindheit war er bestimmt immer nur allein. Deswegen kommt er auch heute nicht mit anderen Hunden klar. Peinlich war es dennoch. Und der Papierkrieg hinterher….

Wir wollten ihm eine Chance geben, auf ein schönes Zuhause. 

Ja, es gibt Hunde, die diese Chance nutzen, auf ein schönes, neues, wunderbares Zuhause. Und es gibt Hunde, die nutzen sie nicht. Und es ist ihr gutes Recht. So wie auch jeder Mensch das Recht hat, eine Chance zu nutzen oder nicht. Jetzt mag der ein oder andere Leser denken, dass der Hund doch gar nicht geistig überschlagen kann, was das für ihn bedeutet. Welche Konsequenzen sein Handeln hat. Ein solcher Gedanke zeugt nur davon, dass er den Hund nicht für fähig hält, im Sinne seiner eigenen Interessen zu denken. Auf der anderen Seite erklären einem die Hundetrainer landauf, landab, dass Hunde Egoisten seien. Es zeugt davon, dass die Vorstellungen und Werte des Menschen auf den Hund projiziert werden. Empathie geht anders. Es zeigt sich, dass die eigenen Emotionen und Interessen über denen des Hundes gestellt werden. Denn anstatt für den geretteten Hund Verantwortung zu übernehmen, wird diese Verantwortung auf den Hund übertragen, indem man ihm eine Chance und damit die Entscheidungsgewalt gibt. Und jemanden eine Chance zu geben, beinhaltet auch das Recht des Gegenübers, diese Chance nicht anzunehmen. Und das gilt auch für Hunde.

Verantwortung übernehmen für einen geretteten Hund

Ihm eine Chance zu geben, das bedeutet ebenso, dass der Mensch nicht bereit ist, ohne Wenn und Aber zu dem Hund zu stehen, denn wenn der Hund die Chance vergeigt, dann kann er wieder gehen. Der Mensch ist sich also nicht sicher mit dem Hund, den er bei sich aufgenommen hat. Er lässt sich eine Hintertür offen. Und schon wird jeder Versuch zu Führen, den Hund Anzuleiten zu einem sicheren Leben, zur Farce. Denn die damit einhergehende Unsicherheit über die Zukunft des Hundes spiegelt sich im unsicheren und unklaren Umgang mit dem Hund wieder. Alles, was man denkt, spiegelt sich in der Körpersprache wieder.
Verantwortung übernehmen für einen geretteten Hund bedeutet, ihn sicher durch sein Leben zu führen. Ihm das Leben zu erklären. Durch deine Grenzen ihm einen Rahmen zu geben, in dem er sich sicher und frei bewegen kann. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, dem geretteten Hund ein Leben an der Leine zu ersparen. Ein langweiliges, reizarmes Leben zu fristen. Vielleicht in einer Box. Oder gar wieder im Tierheim zu landen.

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